super Post Selenium, Ich stimme mit den meisten Dingen überein.
aber..80%(!) der Kabelbäume Supply wurde dort gelagert. 80%! Das ist mehr oder weniger ein SingleSupplier strategy und das verstehe ich überhaupt nicht..wie man auf sowas kommen kann. Gerade wenn dieses Teil beim Autobau kritisch ist! Showstopper-niveau.
Ich weiß ja nicht genau, wie viel Erfahrung Du mit Produktionsplanung, Risikomanagement und Lieferketten hast.
Ein Kabelbaum ist ja ein wenig mehr als ein paar Drähte, das Ding ist ein hoch komplexes Produkt mit speziellen, auf ein Modell abgestimmten Montagetischen, Maschinen etc. Gut eingeschulte Mitarbeiter sind hier - da viel Handarbeit - extrem wichtig, um die Qualität hochzuhalten. Aus diesem Grund geht man bei diesen Produkten nicht wirklich in die Breite sondern konzentriert die Kompetenz lieber an einem Standort. Immer auch mit der Brille des Risikomanagements (und glaub mir, solches Risikomanagement wird laufend gemacht - auf verschiedensten Ebenen).
Was wären die Varianten für Leonie/VW gewesen?:
- Produktion von Kabelsträngen je Modell an zwei unterschiedlichen Standorten (also z.B. für den Enyaq in der Ukraine und in Tunesien (dort hat Leonie ja auch ein Werk). Das hat aber massive Nachteile - z.B. unterschiedliche Transportzeiten zum Werk. Das macht jegliche Planungssteuerung bei Leoni komplexer, da man nun wieder noch viel genauer einsteuern muss, welcher Kabelbaum wann wo gefertigt und verschickt werden muss. Solche Komplexität macht entweder die Lieferkette instabil oder teuer - oder beides. Nichts davon will der Endkunde sehen, teurer darf die heilige Kuh Auto sowieso nicht werden
- Produktion in einem absolut stabilen Land (z.B. in der EU): Wäre eine Möglichkeit, jedoch schwer umzusetzen. Abgesehen von den hohen Lohnkosten (sprachen wir schon davon, dass ein Auto nicht beliebig teuer sein darf, der Kunde akzeptiert echte/nachhaltige Kosten nicht) fehlt es in diesen Ländern schlicht an Arbeitskräften. Wir sind inzwischen zu einer Dienstleister/Consulting/hochwertige Handwerker-Wirtschaft geworden. Typische stupide Fabriksarbeit gibts zwar noch, will aber in Wirklichkeit kaum jemand machen. Ein so komplexes Produkt lebt aber davon, dass Mitarbeiter lange im Unternehmen bleiben und Erfahrung aufbauen. Bei uns wechselt dieser Typus von Dienstnehmer recht schnell und oft, wenn sich wo bessere Möglichkeiten/Entlohnungen bieten (was ich auch verstehen kann).
Die gesamten Lieferketten haben über Jahrzehnte prima funktioniert, auch wenn es immer wieder mal Herausforderungen gab (z.B. Produktionseinschränkungen aufgrund von Bränden in Zulieferwerken etc.). Solche Dinge konnten immer super kompensiert werden. Mit der Pandemie - die ja nun wirklich nicht alltäglich ist - sind wir halt in einer absolut neuen und ungewohnten Situation, tollen Dominoeffekten in den unterschiedlichen Liefer- und Transportketten. Der Krieg in der Ukraine machts nun nicht einfacher - nicht nur für Kabelbäume.
Man kann aber guten Gewissens davon ausgehen, dass hier in den Unternehmen immer entsprechendes Risikomanagement bzw. Vorsorge getroffen wurde. Nur alles geht halt nicht. Niemand kann irgendwo ein Ersatzwerk mit Ersatztransportmöglichkeiten hinstellen und im Leerlauf hindümpeln lassen nur für den Fall, dass es einspringen muss. Geduld ist leider keine Tugend mehr, alles muss schnell und sofort gehen, für alles muss sofort eine Lösung her. Das sind wir so gewohnt - spielts halt aktuell nicht. Das müssen wir einfach akzeptieren. Alle Beteiligten tun eh ihr Bestes.
Bei den täglichen Bildern aus der Ukraine, zerbombten zivilen Gebäuden und massiven Zerstörungen müssen wir uns sowieso jeden Tag 100mal glücklich schätzen, dass wir uns Gedanken über den Liefertermin unseres Autos machen können.